Vernachlässigt: Lepra und Schlangenbisse
Weltweit sind rund 1,6 Milliarden Menschen von vernachlässigten Tropenkrankheiten (NTDs) betroffen oder bedroht. Das Memento-Fachgespräch am 15.5.2024 in Berlin nahm zwei wenig diskutierte NTDs in den Fokus: Lepra und Vergiftungen durch Schlangenbisse.
Mit dem Schirmherr und Bundestagsabgeordneten Ottmar von Holtz (Bündnis 90/Die Grünen) diskutierten Dr. Bernadette Abela-Ridder (Weltgesundheitsorganisation, WHO), Dr. Anil Fastenau (DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V.) und Joshua Oraga (IDEA Refaco Kenya Foundation) wo die gravierendsten Probleme liegen und was getan werden muss.
Lepra und Schlangenbisse sind sehr unterschiedlichen Krankheiten, doch beide führen zu großem menschlichen Leid, besonders bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen, die häufig in entlegenen Gemeinschaften leben. Die Eindämmung der NTDs bis 2030 ist sowohl in der WHO NTD Roadmap als auch in den Nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen festgehalten. Doch der Weg dahin ist noch steinig.
Lepra ist eine bakterielle Infektionserkrankung, die bis 2030 vollständig eliminiert werden könnte. Weltweit gibt es jährlich rund 200.000 Neuinfektionen, 95% davon in Ländern des Globalen Südens. Die armutsassoziierte Krankheit geht mit starker Stigmatisierung einher, wie der live aus Kenia zugeschaltete Joshua Oraga berichtete, der auch Vorsitzender der African Alliance Against NTDs ist. Erkrankte Personen, aber auch ihre Angehörigen, werden häufig sozial isoliert. Betroffene können oft nicht zur Schule gehen, werden aus Gemeinschaften sowie dem öffentlichen Leben ausgeschlossen und teils ihres Mitbestimmungsrechts beraubt. Stigmatisierung hindert Menschen außerdem daran, sich rechtzeitig medizinische Hilfe zu suchen. Grundsätzlich ist Lepra heilbar. Bei später Diagnose bleiben nicht selten lebenslange körperliche Beeinträchtigungen bestehen. Einen schützenden Impfstoff gibt es bislang nicht.
Auch Menschen, die von giftigen Schlangen gebissen wurden, sind von Stigmatisierung betroffen. Zudem führen bleibende Behinderungen zu sozialen und wirtschaftlichen Einschränkungen, so Dr. Bernadette Abela-Ridder Teamleitung für NTDs bei der WHO. Entstellte Betroffene werden womöglich niemals heiraten, ihre Bildungschancen sinken und in Folge schaffen sie es nicht mehr, ihre Familien zu ernähren. Gegengifte sind das wichtigste medizinische Instrument nach einem Biss. Ein Antiserum, das gegen das Gift einer bestimmten Schlangenart wirkt, ist nicht zwangsläufig bei Bissen von anderen Schlangenarten einsetzbar. Selbst wenn ein passendes Gegengift existiert, bedeutet das nicht, dass es rechtzeitig verabreicht wird. Sie sind teuer und Betroffene leben oft weit entfernt von Gesundheitseinrichtungen, was eine schnelle Verabreichung erschwert.
Sowohl für die Bekämpfung von Lepra als auch von Vergiftungen durch Schlangenbisse ist die Überwindung von sozialer Diskriminierung essenziell. Mehr Bewusstsein für die Erkrankungen, Bildung von Fachpersonal aber auch Laien und ein menschenrechtsbasierter Ansatz insbesondere durch NGOs von vor Ort können hierbei helfen, so Oraga. Von Holtz betonte zudem, dass das Bewusstsein bei privilegierteren Bevölkerungsgruppen vor Ort sowie hierzulande bei Politiker*innen gestärkt werden muss. Abela-Ridder ergänzte, dass aufsuchende und community-orientierte Ansätze die Versorgung verbessern können. So sollten auch traditionelle Heiler*innen geschult und mit einbezogen werden. Darüber hinaus müsse die Präventionsarbeit gestärkt werden.
Für die Bekämpfung der Krankheiten ist ein finanzieller Ausbau der geringen Forschungsförderung notwendig. Gesundheitssysteme müssen gestärkt, Armut bekämpft werden. Für die medizinische Versorgung bei NTDs besteht ein Marktversagen, weshalb öffentliche Gelder unabdingbar sind, so von Holtz. Abela-Ridder ist es wichtig, dass die Erkrankungen auf der Global Health-Agenda bleiben. Für Deutschland forderte Fastenau die gezieltere Aufnahme von NTDs in mehr politische Strategiepapiere. Jedoch drohen den Ministerien, die sich hierzulande mit NTDs beschäftigen, teils signifikante Haushaltskürzungen, was die Sicherung von finanziellen Mitteln für eine bessere die Bekämpfung von NTDs erschwert. Ein wichtiges Resümee der Debatte: Neben mehr Geld und verstärkter Aufmerksamkeit braucht es eine verbesserte Versorgung – nicht zuletzt mithilfe von Community-Ansätzen. Zudem ist Stigmatisierung weiterhin ein wichtiges Tabuthema, das angegangen werden muss.
Dieser Text ist ebenfalls im Pharma-Brief der BUKO Pharma-Kampagne (Ausgabe 5, 2024) abgedruckt.
Geschrieben von Svenja Jeschonnek und Corinna Krämer
Fotos: Jara Frey-Schaaber
Quellen:
WHO (2024) Global report on neglected tropical diseases 2024. [Zugriff 23.5.2024]
DAHW (o. J.) Lepra. www.dahw.de/unsere-arbeit/medizinische-soziale-arbeit/lepra.html [Zugriff 24.5.2024]
Ärzte ohne Grenzen (o. J.) Vergiftung durch Schlangenbisse. www.aerzte-ohne-grenzen.de/unsere-arbeit/krankheiten/vergiftung-schlangenbisse [Zugriff 24.5.2024]
Weitere News zum Memento Preis
Schlangenbisse in Kenia und die Unterversorgung mit Gegengiften
Neue Reportagen von Memento Medienpreisträgerin Clara HellnerGiftige Schlangenbisse sind global ein stark vernachlässigtes Gesundheitsbedürfnis. Dabei schätzt die Weltgesundheitsorganisation, dass jährlich fast fünfeinhalb Millionen Menschen gebissen werden und...
Über die mentale Gesundheit von Frauen und Mädchen in Afghanistan
Rückblick: Memento-Fachgespräch 2023Als vernachlässigte Gesundheitsbedürfnisse im globalen Süden kommen den meisten Menschen vor allem Infektionskrankheiten in den Sinn, etwa die Tuberkulose oder verschiedene Tropenkrankheiten. Nicht-übertragbare Erkrankungen stellen...
Fachgespräch 2023: Eine Geschichte aus Afghanistan
Einladung Das Memento-Bündnis lädt zum Fachgespräch am 27. April ab 17:30 Uhr in die Räumlichkeiten von Brot für die Welt ein (Caroline-Michaelis-Str.1, 10115 Berlin, Raum 0K06c). Die Veranstaltung findet unter Schirmherrinnenschaft der Bundestagsabgeordneten Deborah...