Positionspapier Memento Bündnis 2024
Rund zwei Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang zu dringend benötigten Arzneimitteln[1]. Entweder sie existieren nicht, sind schlecht verträglich, nicht an die Gegebenheiten vor Ort angepasst oder die Preise sind so hoch, dass die Therapien nicht bezahlbar sind. Selbst in Europa stellen hohe Arzneimittelpreise zunehmend ein Problem dar. Vor allem die Bedürfnisse von Menschen im Globalen Süden werden in der biomedizinischen Forschung und Entwicklung nach wie vor kaum berücksichtigt.
Das Memento Bündnis setzt sich für bessere Rahmenbedingungen ein, damit alle Menschen die Gesundheitsversorgung erhalten, die sie brauchen.
Lepra
Jährlich erkranken um die 200.000 Menschen weltweit neu an Lepra. Trotz jahrzehntelanger Forschung ist immer noch nicht geklärt, wie genau Lepra übertragen wird. Auch die Entwicklung eines Impfstoffes ist aufgrund anderer Prioritäten längst nicht so weit, wie sie sein könnte. Fehlende Forschungs- und Finanzierungsanreize erschweren die Entwicklung wirksamer Strategien zur endgültigen Eliminierung von Lepra.
Cholera
Seit 2022 sind Länder im östlichen und südlichen Afrika mit den schlimmsten Choleraausbrüchen seit Jahren konfrontiert, obwohl sich die Krankheit schnell eindämmen ließe. Impfstoffe werden nicht ausreichend hergestellt, da Cholera vor allem Menschen betrifft, die in Armut leben und somit keine hohen Profite generiert werden können. Jährlich sterben Menschen, obwohl wirksame Impfstoffe und Behandlungen existieren.
Schlangenbisse
Jährlich werden über 5,4 Millionen Menschen weltweit von Giftschlangen gebissen. Bis zu 138.000 Menschen sterben an den Folgen und bei über 400.000 führt die
Vergiftung zu lebenslangen Behinderungen. Wirksame Gegengifte sind oft nicht entwickelt, vor Ort nicht verfügbar oder aber kosten beispielsweise im
Südsudan ein Mehrfaches des Jahresgehalts von Landwirt*innen.
Tuberkulose
Tuberkulose ist die tödlichste Infektionskrankheit der Welt. Etwa 10,8 Millionen Menschen erkrankten 2023 und 1,25 Millionen Menschen starben daran. Die Lücken in der Diagnose und Behandlung sind groß und ein ausreichend wirksamer, moderner Impfstoff für Tuberkulose ist noch immer nicht entwickelt.
Gewinne wichtiger als Gesundheit?
Hauptgrund für eine nicht bedarfsgerechte Forschung sind falsche Anreize für pharmazeutische Innovationen: Profitinteressen werden über Gesundheitsbedürfnisse gestellt. Das aktuelle System für pharmazeutische Innovationen führt dazu, dass Forschung und Entwicklung hauptsächlich zu Produkten stattfindet, die möglichst hohe Gewinne generieren. Daher sind Krankheiten, die zwar Millionen Menschen in ärmeren Ländern betreffen, in wohlhabenden Ländern jedoch nur selten auftreten, und Arzneimittel wie Antibiotika, die dringend benötigt, aber nur selten eingesetzt werden sollten, in der Forschung vernachlässigt. Zudem führen Marktmonopole, gesichert durch geistige Eigentumsrechte wie Patente, zu überhöhten Preisen. Die Forschung konzentriert sich auf lukrative Krankheitsfelder wie z. B. Krebs – vorbei am weiteren medizinischen Bedarf der Länder des Globalen Südens. Das System profitiert davon, dass weder Forschungs- und Produktionskosten noch die Preisgestaltung transparent sind.
Vernachlässigte Gesundheitsbedürfnisse im Blick
Das Memento Bündnis fordert mehr Aufmerksamkeit für vernachlässigte Gesundheitsbedürfnisse vor allem im Globalen Süden. Es will das dafür notwendige mediale Interesse wecken und den erforderlichen politischen Wandel fördern. Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, damit medizinische Forschung im Interesse von Patient*innen erfolgt. Mehr öffentliche Forschung und alternative Forschungsanreize sind dringend notwendig, damit vernachlässigte Krankheiten[2] mit Priorität erforscht werden. Zudem muss sichergestellt werden, dass alle Menschen Zugang zu den Arzneimitteln haben, die sie brauchen.
Die Kosten für Forschung, Entwicklung und Produktion sowie die in verschiedenen Ländern verlangten Arzneimittelpreise müssen offengelegt werden. Nur so können Regierungen einschätzen, ob die von den Anbietern geforderten Preise angemessen sind. Die Politik muss die entsprechenden Rahmenbedingungen für Transparenz setzen.
Bedarfsgerechte Forschung und bezahlbare Arzneimittel
Damit alle Menschen weltweit Zugang zu den auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Arzneimitteln erhalten, fordern wir Folgendes von politischen Entscheidungstragenden der Bundesregierung:
- Es braucht mehr Gelder für die Erforschung vernachlässigter Gesundheitsbedürfnisse.
- Es muss sichergestellt werden, dass staatliche Gelder so eingesetzt werden, dass Innovationen für alle Menschen verfügbar sind, die sie benötigen. Konkret sollte öffentliche Forschungsförderung
a) an Zugangsbedingungen für die entwickelten Produkte gekoppelt werden,[3]
b) den Technologietransfer unterstützen, um eine kostengünstige Produktion durch mehrere Hersteller zu ermöglichen sowie
c) den Daten- und Wissenstransfer stärken, damit andere Forschende daran anknüpfen können. - Die Debatte über weitere sinnvolle Forschungsanreize[4] zur Schließung von Therapielücken muss geführt und darauf basierend müssen Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden.
- Es müssen Rahmenbedingungen gesetzt werden, die für mehr Transparenz bei Forschungs-, Produktionskosten und Preisgestaltung sorgen.[5]
- Es braucht weitere Maßnahmen, die für einen verbesserten Zugang zu Arzneimitteln sorgen. Dazu gehören u. a.
a) die Stärkung freiwilliger Lizenzmodelle wie das des Medicines Patent Pools[6],
b) die Sicherung des Rechts auf Zwangslizenzen[7] und
c) die Förderung gemeinnütziger Produktion[8].
Ärzte ohne Grenzen e.V., Brot für die Welt, die BUKO Pharma-Kampagne und die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. haben gemeinsam den Memento Preis für vernachlässigte Krankheiten ins Leben gerufen. Seit 2014 wird er einmal im Jahr für besonderes Engagement in der Bekämpfung von vernachlässigten Krankheiten verliehen. Wir zeichnen mit dem Preis nicht nur wissenschaftliche Forschungsaktivtäten aus, sondern auch journalistische Vorhaben, die kaum beachtete Gesundheitsbedürfnisse in umfangreichen Reportagen aufarbeiten. Alle zwei Jahre wird zudem ein Preis für politischen Willen vergeben.
Positionspapier als PDF: Für bedarfsgerechte Forschung und weltweiten Zugang zu Arzneimitteln
[1] Gemeint sind Medikamente, die der Heilung, Diagnose und Vorbeugung dienen. Inbegriffen sind also auch Impfstoffe und Tests.
[2] Zu den vernachlässigten Krankheiten zählen v.a. Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids sowie die Vernachlässigten Tropenkrankheiten (NTDs) und weitere armutsassoziierte Krankheiten.
[3] Pharma-Brief Spezial (2018) Forschungsergebnisse für möglichst viele Menschen nutzbar machen.
[4] Pharma-Brief Spezial (2013) Öffentliche Gesundheitsforschung … kommt gut an!
[5] Transparenz-Resolution beschlossen auf der 72. Weltgesundheitsversammlung (2019)
[6] Weiterentwicklung des existierenden Medicines Patent Pool
[7] Zwangslizenzen ermöglichen die Produktion patentgeschützter Arzneimittel durch Generikafirmen ohne Zustimmung des Patentinhabers. Aktuell wird das Recht auf Zwangslizenzen häufig de facto untergraben, indem politischer Druck auf Länder ausgeübt wird, die dieses durch die WTO-Verträge verbriefte Instrument einsetzen.
[8] Gemeinnützige Produktion erfolgt ohne Gewinnmaximierungsabsicht (non-profit), z. B. aus öffentlicher Hand.
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