„Es sind nicht nur die Krankheiten, die vernachlässigt werden, sondern auch die Menschen.“
Nachdem die Preisverleihung des Memento-Bündnisses die letzten zwei Jahre digital stattfinden musste, war es diesen Oktober wieder möglich, eine Präsenzveranstaltung durchzuführen. Zwei Auszeichnungen wurden in Berlin bei einer feierlichen Abendveranstaltung in der taz Kantine vergeben.
Melissa Scharwey von Ärzte ohne Grenzen eröffnete die Veranstaltung, die seit Beginn der Arbeit des Memento Bündnisses 2014 jährlich ausgerichtet wird. Das Publikum setzte sich vor allem aus Zivilgesellschaft, Politik und interessierter Öffentlichkeit zusammen.
Der erste Beitrag des Abends stammte von Evelyne Leandro, die die Gäste mit ihrer persönlichen Geschichte zu vernachlässigten Krankheiten aufrüttelte. Die gebürtige Brasilianerin, die zum Zeitpunkt ihrer Lepra-Diagnose im Jahr 2012 in Deutschland lebte, berichtete eindringlich von ihrer monatelangen Therapie und den begleitenden Problemen. Nach einer oft qualvollen und langen aber letztlich erfolgreichen Behandlung reiste sie zurück in ihre Heimat. Dort nahm sie mit Schrecken die extremen Unterschiede in der medizinischen Versorgung im Vergleich zu Deutschland wahr, die stellvertretend für die Lücke zwischen globalen Norden und Süden stehen können: „Ich habe mich geschämt. Das System hat versagt.“ Obwohl seit Jahrhunderten bekannt, ist die bakterielle Erkrankung weiter eine Herausforderung für viele ärmere Länder. So erschwert etwa das häufig massive Stigma die frühzeitige Fallfindung. (1) Evelyne Leandro verwies entsprechend darauf, sie sei zwar geheilt, lebe aber immer noch mit dem Schatten der Erkrankung: „Es ist und bleibt ein Teil von mir.“
Der Medienpreis 2022
Benno Kreuels, diesjähriger Vertreter der Medienpreis-Jury, lockerte nach den eindringlichen Worten seiner Vorrednerin die Stimmung zunächst etwas auf: „Der Medienpreis ist komisch. Man kriegt ihn, obwohl man noch nichts gemacht hat!“ In der Tat wird in dieser Kategorie die Auszeichnung für eine noch zu erbringende Arbeit vergeben. Die Jury entschied sich dieses Jahr für das geplante Projekt der freien Journalistin Clara Hellner, die zum Zeitpunkt der Verleihung bereits nach Kenia gereist war, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. In Form einer Reportage möchte sie aufzeigen, wie Mediziner*innen, Tierärzt*innen und Pfleger*innen in dem ostafrikanischen Land gegen giftige Schlangenbisse und deren Folgen kämpfen. Die wenigsten Betroffenen haben Zugang zu einem adäquaten Gegengift, dem wichtigsten Instrument in der Behandlung. Hohe Preise, mangelnde Eignung und geringe Verfügbarkeit weisen deutlich auf ein kommerzielles Marktversagen hin. Ein vielversprechender Ansatz für die Zukunft zielt daher auf stärkere lokale Forschung und Produktion. Die Preisträgerin möchte neben Versorgungslücken auch Zusammenhänge zur Klimakrise in den Blick nehmen.
Nach einer kurzen Videobotschaft Hellners, die glücklicherweise noch kurz vor ihrer Abfahrt ihr Preisobjekt in Empfang nehmen konnte, erfolgte die Keynote des Abends. Richard Gordon vom South African Medical Research Council (SAMRC) brachte dem Publikum in einem Videobeitrag Entstehung, Funktionsweise und Vorteile des WHO mRNA-Hubs näher. Die kooperativ ausgerichtete Plattform in Südafrika meldete schon erste Erfolge bei der Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffes, der sich an dem des Herstellers Moderna orientiert. (2) Gleichzeitig ist sie vor allem wichtig, als Multiplikator für Know-how rund um die mRNA-Technologie allgemein. Bereits 15 Partner in Afrika, Asien, Südamerika und Osteuropa können bislang davon profitieren. (3) Gordons Beitrag mahnte zugleich mehrfach die Notwendigkeit von Kooperation statt Duplikation an – eine Erinnerung für den Globalen Norden, die so oft in Aussicht gestellte Zusammenarbeit auf Augenhöhe auch als solche einzulösen. Da sei noch Luft nach oben, schließlich habe etwa Biontech als deutsche mRNA-Firma weiterhin weder Know-how noch Technologie mit dem Hub geteilt, erinnerte anschließend Melissa Scharwey in der Moderation.
Die Videobotschaft von Richard Gordon kann auf dem YouTube-Kanal der BUKO Pharma-Kampagne angesehen werden:
Der Forschungspreis 2022
Beim folgenden Programmpunkt lobte Klaus Brehm, der die neu zusammengesetzte Forschungsjury vertrat, die Arbeit des diesjährigen Preisträgers Markus Engstler vom Lehrstuhl für Zell- und Entwicklungsbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg prägnant: „Nun, der macht halt verdammt gute Spitzenforschung!“ Engstlers Grundlagenarbeit zum Erreger der Schlafkrankheit böte die Möglichkeit, für neue Ansätze in der Diagnose und Behandlung der Infektionserkrankung, deren Erreger durch die Tsetsefliege übertragen werden. In einer anschaulichen Präsentation vermittelte Markus Engstler in der Folge die Aktivitäten und Ergebnisse seines Teams. Jenes konnte ein zuvor nie erfasstes weiteres Entwicklungsstadium des Erregers im Menschen festhalten und zudem einen über 100 Jahre lang bestehenden Irrtum bei der Infektion der Tsetsefliege selbst korrigieren. Unter den Tisch fallen durften jedoch nicht die schwierigen Aussichten der Grundlagenforschung, die sich mit rapide schwindenden Mitteln konfrontiert sieht. Hier kommt es maßgeblich auf die öffentliche Hand als Geberin an, da abermals der private Markt kein größeres Interesse zeigt. Engstler bedankte sich schlussendlich herzlich beim Bündnis selbst: „Für mich ist der Preis sehr besonders, weil er von der Zivilgesellschaft vergeben wird.“
Zum Abschluss des offiziellen Teils appellierte die Moderation an die die deutsche Politik, global vernachlässigten Gesundheitsbedürfnissen einen höheren Stellenwert einzuräumen. Dazu gehöre es natürlich auch, die Stimmen der Betroffenen zu hören. Zu guter Letzt nutzten die Gäste die Möglichkeit, bei Musik den Abend im Austausch Revue passieren zu lassen.
Weitere Bilder: Erste Impressionen der Preisverleihung 2022
Fotos: Jakob Frey-Schaaber
Quellen:
Das Zitat aus der zweiten Überschrift stammt von Evelyne Leandro.
(1) https://www.dahw.de/unsere-arbeit/medizinische-soziale-arbeit/lepra.html [Zugriff 14.11.22]
(2) https://bukopharma.de/de/8-aktuelles/622-pb2022-2-1-impfstoff-patente [Zugriff 17.11.22]
(3) www.devex.com/news/south-africa-s-mrna-hub-confronts-old-problems-and-new-directions-104398 [Zugriff 17.11.22]
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